Biographisches

 

Mato Kosyks Werk ist thematisch sehr stark von seiner Biographie geprägt. Für ein besseres Verständnis seines Schaffens ist es deshalb wichtig, über sein Leben Bescheid zu wissen. Die folgende Kurzbiographie stützt sich im wesentlichen auf die Aussagen des Dichters selbst (insbesondere in seinen Briefen, Kosyk 1980) sowie auf die Sekundärliteratur (vor allem Mětšk 1985 und Dalitz/Stone 1977).

 

Vorbemerkung zur Schreibung von Namen und zur Terminologie:

Da sich das Leben Mato Kosyks im sorbisch-, deutsch- und englischsprachigen Kontext abspielt, gibt es für viele Namen (Personen-, aber auch geographische Bezeichnungen) mehrere Schreibweisen, z.T. aber auch völlig unterschiedliche Bezeichnungen. So wird der Vorname des Dichters Mato, Matthäus, Mattheus, Matthes, Matthew geschrieben, der Nachname Kosyk, Kósyk, Kossik, Koßick, Kossick. Im folgenden wird nur die jeweils erste Form verwendet. Bei Ortsnamen aus der Lausitz wird zuerst die sorbische, dann die deutsche Form angegeben (z.B. Chośebuz/Cottbus). Für Sprache und Volk wird die in Brandenburg heute übliche und amtliche Doppelbezeichnung niedersorbisch/wendisch gebraucht.

 

Heimat: der Spreewald (Błota) und  die Niedersorben/Wenden

Die Familie Kosyk stammt aus dem Spreewald in der Niederlausitz. Der Spreewald ist ein ausgedehntes Sumpfgebiet westlich von Chośebuz/Cottbus, in dem sich die Spree in zahlreiche Arme gabelt, die erst bei Lubin/Lübben wieder zusammenfließen. Er war früher fast ausschließlich auf dem Wasserwege zugänglich und stellte damit ein ideales Rückzugsgebiet dar. In ihm entwickelten sich besondere Formen der Land-, Wald- und Wasserwirtschaft, und in ihm wurden viele Traditionen länger bewahrt als in der Umgebung.

Von besonderer Bedeutung ist der Spreewald für die Sorben in der Niederlausitz. Sie besiedelten dieses von den früheren Bewohnern wohl weitgehend verlassene Gebiet ab dem 6. Jahrhundert und stellen die eigentlich autochthone Bevölkerung dar. Die Sorben gehören zu den Slaven, die im Rahmen der Völkerwanderung seit dem 5. Jahrhundert aus ihrer Urheimat (wahrscheinlich den Pripjat-Sümpfen) nach Westen und Süden zogen. Die Sorben bilden zusammen mit den Čechen/Slovaken und der lechitischen Untergruppe die Gruppe der Westslaven. Die Sorben werden heute aufgrund sprachlicher Unterschiede in zwei Gruppen geteilt, die Obersorben in der Oberlausitz und die Niedersorben/Wenden in der Niederlausitz. Die Sorben wurden seit dem 11. Jahrhundert durch die deutsche Ostkolonisation zunehmend assimiliert, und das sorbische Sprachgebiet schrumpfte. In der Niederlausitz war es der brandenburgische Kreis Chośebuz/Cottbus und darin aufgrund seiner topographischen Besonderheiten der Spreewald, der am längsten seinen niedersorbisch/wendischen Charakter bewahren konnte. Noch um die Mitte des 19. Jahrhunderts war die Bevölkerung fast rein sorbisch.

Im Spreewald war Wjerbno/Werben eines der bedeutenderen Dörfer mit der Pfarrkirche der gleichnamigen Kirchgemeinde. Auch hier war das Niedersorbisch/Wendische die Umgangssprache (noch 1884 waren von den etwa 2500 Einwohnern nur fünf Prozent Deutsche, und von diesen hatten sich vier Fünftel sprachlich assimiliert, so daß nur ein Prozent der Gesamtbevölkerung kein Niedersorbisch/Wendisch verstand).

Die Familie Kosyk stammte ursprünglich aus dem Dorf Brama/Brahmow, das auch zur Kirchgemeinde Wjerbno/Werben gehört. Kosyks Großvater Mato Kosyk zog nach der Eheschließung ins Pfarrdorf, und dieser Zweig der Familie blieb von nun an dort wohnhaft.

 

Jugendjahre  (1853 - 1877)

Mato Kosyks Vater, Juro Kosyk (16.1.1826 - 17.1.1896), wurde in Wjerbno/Werben geboren und heiratete 1852 Maja Žylojc (12.1.1834 - 13.12.1917), die ebenfalls aus dem gleichen Dorf stammte. Der Vater war Bauer; die Familie wohnte zunächst im elterlichen Haus, baute dann aber einen neuen Hof, der auf eigenem Grund und Boden lag. Die Familie hatte vier Kinder, von denen zwei schon im Kindesalter starben: Mato (18.6.1853 - 22.11.1940), Kito (1856 - 1886), Juro (1859 - 1863), Majka (1864 - 1872).

Nach dem Besuch der Dorfschule erhielt Mato Kosyk, nicht zuletzt aufgrund der Fürsprache und Förderung durch den Pfarrer, die Möglichkeit, 1867 an das Gymnasium in Chośebuz/Cottbus zu wechseln, dies mit dem Ziel, Theologie zu studieren. Er verließ aber die Schule 1873 vorzeitig und ohne Abschluß. Dies verbaute ihm die Möglichkeit, sich in Deutschland zum Geistlichen ausbilden zu lassen.

Von 1873 - 1877 war er bei der Eisenbahngesellschaft Leipzig-Dresden angestellt und hauptsächlich in Leipzig selbst tätig. Noch in seiner Leipziger Zeit fand er vermutlich Anschluß an die dortigen Sorben, und in dieser Zeit entstehen auch die ersten dichterischen Texte, die erhalten sind. Sie sind ausnahmslos niedersorbisch/wendisch geschrieben. (In der Sekundärliteratur finden sich Aussagen, Kosyk hätte anfangs auch deutsch gedichtet, doch läßt sich dies nicht belegen.)

 

Literat in Wjerbno/Werben (1877 - 1883)

Ende 1877 kehrte Mato Kosyk aus gesundheitlichen Gründen in sein Elternhaus zurück. In den nächsten sechs Jahren wirkte er als freischaffender Schriftsteller (Literat). Diese Zeit, die Werbener Periode seines Schaffens, ist die literarisch fruchtbarste. In ihr entstanden alle seine umfangreicheren Werke (sein hexametrischer Erstling, Serbska swaźba w Błotach, die historische Trilogie, die beiden Dramen) und der größere Teil seiner Gedichte. Daneben hatte er wesentlichen Anteil an der Revision des niedersorbisch/wendischen Kirchengesangsbuches (Serbske duchowne kjarliže). Schließlich war er ab 1880 Mit-Redakteur der niedersorbisch/wendischen Wochenzeitung Bramborske nowiny.

In dieser Zeit trat er auch mit den wichtigsten Repräsentanten des sorbischen Kulturlebens in brieflichen und/oder persönlichen Kontakt. Für den niedersorbisch/wendischen Bereich sind das insbesondere Kito Šwjela (1836 - 1922), Hajndrich Jordan (1841 - 1910), Bjarnat Krušwica (1845 - 1919) und die auswärtigen Juro Surowin (eig. Georg J.J. Sauerwein, 1831 - 1904) und Alfons Parczewski (1849 - 1933). Im obersorbischen bzw. gesamtsorbischen Kontext waren seine wichtigsten Partner Michał Hórnik (1833 - 1894), Arnošt Muka (1854 - 1932) und Jan Arnošt Smoler (1816 - 1884). Er war eines der Gründungsmitglieder der niedersorbisch/wendischen Maśica Serbska, des zentralen wissenschaftlichen und kulturpolitischen Vereins der Sorben.

Seine literarische und allgemein kulturelle Tätigkeit in diesem Zeitraum war außerordentlich intensiv und vielfältig. Er leistete auf diesem Gebiet allein wohl mehr als alle anderen Kulturschaffenden der Niederlausitz zusammengenommen.

Seine Tätigkeit verschaffte ihm aber kaum Einkünfte, da der literarische Markt zu klein war und er die Drucklegung seiner Werke zum Teil selbst finanzieren mußte. Das führte zu Konflikten im Elternhaus, wo es für seine brotlose Kunst nur wenig Verständnis gab. Außerdem kam er seinem Ziel, als Geistlicher zu wirken, nicht näher. Dies war in Deutschland nicht möglich, da Kosyk ohne Abitur nicht studieren konnte. So entschloß er sich, in die Vereinigten Staaten zu emigrieren und sich dort zum Geistlichen ausbilden zu lassen.

 

Emigration, Ausbildung zum Geistlichen (1883 - 1886)

Im Oktober 1883 verließ Mato Kosyk Wjerbno/Werben und fuhr über Wětošow/Vetschau nach Hamburg, wo er sich nach New York einschiffte. Von dort aus fuhr er über Buffalo (NY) nach Springfield (IL). Dort schrieb er sich im Practical Concordia Theological Seminary ein, das zur Missouri-Synode der Lutherischen Kirche von Amerika gehörte. Die Synode und damit auch das Seminar vertrat die orthodoxe Richtung der Lutherischen Kirche. Schon im Januar 1884 wechselte er zum Deutschen theologischen Seminar der General-Synode in Chicago (IL), die sehr liberal war. Als Gründe für den Wechsel gibt Kosyk an, daß das erste Seminar viel stärker praktisch ausgerichtet gewesen sei und die dort vertretenen Lehrmeinungen mit seinen eigenen nicht in Einklang zu bringen seien. Weitere Gründe mögen gewesen sein, daß in Springfield nur der Unterricht deutsch war, die Studenten unter sich aber englisch sprachen, und daß das Seminar in Chicago wesentlich kleiner war, was einen sehr persönlichen Kontakt zum Direktor und einzigen Lehrer, E.F. Giese, ermöglichte.

Bereits 1885 wurde Kosyk ordiniert. Er trat seine erste Stelle in Wellsburg (IO) an und wurde in die Deutsche Wartburg-Synode aufgenommen. Seine Gemeinde bestand im wesentlichen aus ostfriesischen Bauern, und es scheint sowohl sprachlich als auch mentalitätsbedingte Schwierigkeiten gegeben zu haben. Bereits anderthalb Jahre später gab er diese Stelle auf und kehrte in die Lausitz zurück.

In diesen ersten amerikanischen Jahren dichtete er weiter, und seine Gedichte wurden regelmäßig in den sorbischen Medien veröffentlicht. Er hielt auch den Kontakt mit sorbischen Kulturschaffenden aufrecht. Damit führte er seine Tätigkeit als Literat weiter, allerdings aufgrund anderweitiger Belastungen in wesentlich bescheidenerem Umfang. In dieser ersten amerikanischen Phase finden sich schon zahlreiche Motive aus der neuen Heimat in seinen Texten.

 

Zwischenspiel in der alten Heimat (1886 - 1887)

Im Herbst 1886 reiste Kosyk in die Heimat zurück. Auslöser für die Reise war sicher der Tod seines Bruders Kito, der den elterlichen Hof bewirtschaftet hatte. Mato als einziger noch lebender Sohn mußte seinen Eltern bei der Regelung der Verhältnisse helfen.

Während seines Aufenthaltes erkundete er die Möglichkeiten, mit seiner Ausbildung als Geistlicher in Deutschland angestellt zu werden. Am liebsten hätte er natürlich eine Pfarrgemeinde im sorbischen Siedlungsgebiet übernommen. Tatsächlich gab es gerade zu dieser Zeit eine vakante Pfarrstelle in Hochozy/Drachhausen, um die er sich auch bemühte, ebenso wie um eine weitere in Łuta/Lauta. Seine amerikanische Ausbildung wurde aber von der Landeskirche nicht anerkannt.

Die Nachfolge seines Bruders bei der Bewirtschaftung des elterlichen Hofes hätte er nur für eine beschränkte Zeit antreten können, da sein Neffe Kito, zu diesem Zeitpunkt vier Jahre alt, später diesen Hof übernehmen würde.

Da er in der alten Heimat für sich keine Zukunftsperspektive sah, verließ er sie, diesmal endgültig, um sich in den Vereinigten Staaten niederzulassen.

 

Die  neue Heimat: Beruf, Familie, Dichtung (1887 - 1913)

Nach seiner erneuten Ankunft in den Vereinigten Staaten fand er schnell eine neue Pfarrstelle, diesmal im Staat Nebraska, weshalb er auch Mitglied der Deutschen Konferenz der Evangelisch-Lutherischen Synode von Nebraska wurde. In Nebraska versah er von 1887 bis 1907 vier Pfarrstellen:

1887 - 1889    Ridgeley, Dodge Co.

1889 - 1895    Princeton, Lancaster Co.

Herbst 1895 bis Sommer 1896 war er ohne Anstellung und wohnte in Roca, Lancaster Co.

1896 - 1899    Stamford, Harlan Co.

1899 - 1907    Ohiowa, Fillmore Co.

In allen Fällen handelte es sich um rein deutschsprachige, ländliche Gemeinden, die eher klein waren.

1890 war er einer der Gründungsmitglieder der Deutschen Evangelisch-Lutherischen Synode von Nebraska. Sie entstand aus der Deutschen Konferenz der Evangelisch-Lutherischen Synode von Nebraska und schloß sich der General-Synode an.

1908 trat er seine letzte Pfarrstelle an, und zwar in El Reno (OK). Schon 1913 trat er in den Ruhestand und zog nach Albion (OK). Als Grund wird seine zunehmende Schwerhörigkeit genannt; außerdem war er wohl nicht mehr auf die Einkünfte einer Pfarrstelle angewiesen.

 

Nachdem ihm sein Besuch in der Lausitz gezeigt hatte, daß er in Deutschland auf keine Anstellung als Geistlicher hoffen konnte, richtete er sich auf sein weiteres Leben in den Vereinigten Staaten ein. Um eine Familie zu gründen, suchte er auf dem Korrespondenzweg eine Frau aus Deutschland. 1890 heiratete er in Princeton Anna Wehr aus Duszno (Hochberg), die Tochter eines Rittergutbesitzers. Die Ehe scheint, nicht zuletzt aufgrund der Unterschiede in der Herkunft, nicht besonders glücklich gewesen zu sein. 1891 wurde der einzige Sohn Georg Ludwig (George Louis, Juro) geboren, und 1894 ließ sich Mato Kosyk mit seiner Familie in den Vereinigten Staaten einbürgern.

 

Seine dichterische Produktion versiegte nach seiner Rückkehr aus Deutschland zunächst fast völlig, ebenso sein Kontakt mit sorbischen Kulturschaffenden. Erst 1892 begann eine neue Schaffensperiode, die zweite amerikanische Phase (1892 - 1898). Sie wurde ausgelöst durch eine Anfrage von Bogumił Šwjela (1873 - 1948, Sohn von Kito Šwjela), der eine Sammlung von Kosyk-Gedichten herausgeben wollte. Mit ein Grund für die neue dichterische Aktivität dürfte auch die Gründung einer Familie und insbesondere die Geburt des Sohnes gewesen sein. Die Gedichtsammlung erschien 1893, und danach wurden weitere Gedichte in Zeitschriften veröffentlicht. Aber allmählich verstummte der Dichter; sein letztes Gedicht in dieser Phase schrieb er 1898. Auch der briefliche Kontakt mit sorbischen Kulturschaffenden versiegte um diese Zeit.

 

Lebensabend (1913 - 1940)

In Albion hatte Kosyk schon 1908 eine Farm gekauft, auf der sich die Familie nun niederließ. Vorgesehen war wohl, daß der Sohn Juro die Farm bewirtschaften sollte und die Eltern im Ausgedinge leben würden. Juro starb aber bereits nach zwei Jahren (1915) an einem Schlaganfall, noch keine 24 Jahre alt. Das Familienleben scheint danach zunehmend schwierig geworden zu sein, da die Frau jahrelang viel Zeit am Grab ihres Sohnes verbrachte und für Mato Kosyks dichterisches Schaffen kein Verständnis aufbrachte. Nach ihrem Tod (1929) vereinsamte Kosyk zusehends, da seine Frau im wesentlichen den Kontakt mit den Nachbarn aufrecht erhalten hatte. 1935 stellte er Wilma Filter als Haushälterin ein und heiratete sie 1938.

 

Nach dem ersten Weltkrieg suchten A. Muka und B. Šwjela erneut den Kontakt zu Kosyk. Sie ermunterten ihn, wieder zu schreiben. So begann 1923 die dritte amerikanische Phase in seinem dichterischen Werk, die bis kurz vor seinem Tod dauerte. Auch mit der jüngeren Dichtergeneration, vertreten durch Mina Witkojc (1893 - 1975), trat er in brieflichen Kontakt.

 

Mato Kosyk starb am 22. November 1940 im Alter von 87 Jahren auf seiner Farm. Am darauffolgenden Tag wurde er auf dem Friedhof von Albion beigesetzt. Seine Witwe verließ Albion im folgenden Jahr und nahm dabei Kosyks gesamten schriftlichen Nachlaß mit. Es ist nicht bekannt, was daraus geworden ist. Man muß ihn wohl für verloren ansehen.